Corona, Schwäbische Alb und Afrika

Dr. Günter Schweigert ist Kurator für Invertebraten des Jura und der Kreide sowie Mikropaläontologe. Er leitet zudem die Grabungen im Nusplinger Plattenkalk

Seit meiner frühen Jugend, das heißt etwa ab einem Alter von sieben Jahren, ist mir die Schwäbische Alb durch Wanderungen bestens vertraut. Dabei gefundene Fossilien gaben letztlich auch den Anlass für meine Berufswahl. Besonders gut kenne ich mich im Gebiet der Zollernalb aus.

Im Herbst des Hitzejahrs 2003 entdeckte ich auf einem frisch umgepflügten Acker in der Nähe des Kornbühls, zwischen Salmendingen und Ringingen, einen Kalkstein mit einem kleinen fossilen Nautilus.

Der Kornbühl mit der Salmendinger Kapelle. In seiner Nähe fand ich auf einem Acker den Somalinautilus (Bild: Günter Schweigert / SMNS).

Denselben Acker hatte ich zuvor jahrzehntelang immer wieder inspiziert und dabei so manchen seltenen Ammoniten gefunden. Nautiliden sind in diesen Juraschichten jedoch mindestens hundertmal seltener als Ammoniten, und dieses Stück unterschied sich mit seinem ungewöhnlich breiten, kantigen Windungsquerschnitt deutlich von allen anderen bereits in der Weißjura-Sammlung des Stuttgarter Naturkundemuseums befindlichen Stücken, immerhin vier Schubladen voll. Da ich damals mit anderen Forschungsprojekten gut ausgelastet war, ordnete ich meinen Fund zunächst als unbestimmte Art in die Sammlung ein.

Nautiliden aus dem Oberen Jura in der Sammlung des Naturkundemuseums (Bild: Günter Schweigert / SMNS).

In diesem Jahr (2020) nun machte die Corona-Pandemie so manchen Plan zunichte. Um die Zahl der Kontakte zu beschränken, wurde auch am Naturkundemuseum nach Möglichkeit im Homeoffice gearbeitet. Ich überlegte mir, was ich alles von zu Hause aus arbeiten könnte – und dabei fiel mir unter anderem mein kleiner Nautilus wieder ein, der nun sozusagen zu einem „Corona-Projekt“ wurde.

Der Nautilide Somalinautilus antiquus vom Heufeld bei Salmendingen in zwei Ansichten. Rekonstruierter Durchmesser etwa 6 cm (Bild: Günter Schweigert / SMNS).

Dank eingehender Recherchen mittels im Internet verfügbarer Fachliteratur gelang es mir, die Art als „Somalinautilus antiquus“ zu identifizieren. Das bis dahin einzige bekannt gewordene Stück dieser Art war im Jahr 1905 von einem Münchner Paläontologen beschrieben worden und stammte aus dem Gebiet des heutigen Äthiopiens. Es war dort zusammen mit vielen anderen Jurafossilien bei einer Expedition aufgelesen worden. Eine Anfrage bei einem befreundeten Münchner Kollegen ergab, dass sich das äthiopische Exemplar in der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie in München befindet – in der damaligen Veröffentlichung war der Aufbewahrungsort gar nicht erwähnt worden, weswegen andere Forscher geglaubt hatten, das Stück sei verschollen.

Mein Neufund von der Zollernalb ist dank der damit zusammen in derselben Schicht vorkommenden gut bekannten Ammoniten wesentlich besser datierbar als der Fund aus Äthiopien – das jahrzehntelange Sammeln auf dem Acker hat sich ausgezahlt. Der Fund des Somalinautilus beweist, dass es im damaligen Jurameer, vor etwa 150 Millionen Jahren, zu einem Faunenaustausch weit voneinander entfernter Meeresgebiete gekommen war. Die einzige mögliche Erklärung hierfür ist, dass geographische Barrieren bei einem sehr hohen Meeresspiegelstand außer Funktion waren, was diese weite Ausbreitung ermöglichte. Die Literaturrecherche ergab außerdem, dass die Gattung Somalinautilus auch schon zur Zeit des Mitteljuras mehrfach kurzzeitig nach Mitteleuropa eingewandert war – und bei einer gezielten Durchsicht unserer eigenen Sammlung entdeckte ich tatsächlich ein weiteres Exemplar dieser Gattung aus dem Braunjura der Schwäbischen Ostalb. Dieses Stück war bereits im Jahr 1949 in die Sammlung des Naturkundemuseums gekommen.

Die Ergebnisse meines „Corona-Projekts“ wurden jetzt in der internationalen Zeitschrift „Neues Jahrbuch für Geologie und Paläontologie“ veröffentlicht. Die Gutachter der Zeitschrift äußerten sich übrigens erfreut darüber, dass sich wieder jemand mit versteinerten Nautiliden befasst. Ich bin gespannt, ob die Publikation dazu führt, dass noch weitere Exemplare des kleinen Nautiliden entdeckt werden – ob im Gelände oder bei einer durch meinen Fund angestoßenen Nachforschung in einer wissenschaftlichen Sammlung.


Literatur

Schweigert, G. 2020: First records of Somalinautilus (Cephalopoda: Nautiloidea) from the Jurassic of Southern Germany – inferences for trans-provincial migrations. – Neues Jahrbuch für Geologie und Paläontologie, Abhandlungen, 298(2): 137-146.

DOI: 10.1127/njgpa/2020/0939

Naturkundemuseum Stuttgart

Das Staatliche Museum für Naturkunde Stuttgart (SMNS) mit seinen beiden Standorten Museum am Löwentor und Schloss Rosenstein ist eines der größten Naturkundemuseen Deutschlands und versteht sich als zukunftsorientierte Forschungs- und Bildungseinrichtung. Es trägt Verantwortung für umfangreiche wissenschaftliche Sammlungen aus den Bereichen Botanik, Entomologie, Geologie, Mineralogie, Paläontologie und Zoologie. Diese Sammlungen stellen ein Archiv der Natur von internationalem Rang und kulturellem Wert dar. Mit Sammlungen und Forschungsleistungen sowie als Institution der zeitgemäßen Vermittlung naturkundlichen Wissens in Ausstellungen, Veranstaltungen und Publikationen ist das Staatliche Museum für Naturkunde Stuttgart ein wesentlicher Bestandteil der Kultur- und Wissenslandschaft Baden-Württembergs.

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3 Antworten

  1. Günter Schweigert sagt:

    Ja, die Spuren kann man als Arachnostega interpretieren.

  2. kristigli sagt:

    Rikuperimi pas labioplastikes ist auch gut geschrieben und könnte interessant sein.

  3. …auch cool: Die Spurenfossilien im Steinkern, Arachnostega isp.?

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